Diskrepanz zwischen aktuellen Empfehlungen und Bedarf

Wie ist die nach wie vor existierende und offensichtliche Diskrepanz von offiziellen Empfehlungen zur Vitamin D Zufuhr und dem tatsächlichen Bedarf erklärbar? Während es seit langem anerkannt ist, das Säuglinge und Kleinkinder eine täglichen Zufuhr von 400 I.E. am Tag erhalten sollten, bleibt es ein Faszinosum, warum der Bedarf eines Erwachsenen mit 70-80kg nahezu identisch mit dem eines 3.5kg schweren Neugeborenen sein soll.

Dies hat eine Reihe von Gründen. Historisch beruhen die Empfehlungen auf den empirischen Vitamin D Werten, die zur Vermeidung einer Rachitis notwendig waren. Zu dieser Zeit war es überhaupt noch nicht möglich 25-OH Vitamin D Werte als Marker der Vitamin D Versorgung zu bestimmen.

Die aktuellen Empfehlungen zum täglichen Bedarf beruhen zudem fast ausschließlich auf Untersuchungen zum Calcium-, und Knochenstoffwechsel als der ältesten bekannten Funktion von Vitamin D.

Trotz einer Assoziation von Vitamin D Status und vielen Erkrankungen in epidemiologischen Beobachtungen konnte bis heute keine klare Kausalität zwischen spezifischen Vitamin D Werten und dem Auftreten von bestimmten Krebs-, und Autoimmunerkrankungen etabliert werden. Diese Kausalität wird mutmaßlich auch nicht zu führen sein, da die Ätiologie dieser Erkrankungen immer multifaktoriell ist und ein Vitamin D Mangel nur einer der Faktoren ist, die eine Rolle spielen können. Kein anderes Steroidhormonsystem des Körpers wird jedoch in der Funktion derart limitiert wie der Vitamin D Stoffwechsel. Auch ist unklar, ob es unterschiedlicher Schwellenwerte an Vitamin D in verschiedenen Geweben bedarf, um eine entsprechende Wirkung hervorzurufen.

Die Hypothese darf demnach auch nicht darin bestehen, dass eine zusätzliche Vitamin D Zufuhr diese Erkrankungen verringern kann, sondern ist gerade darin zu sehen, dass ein Vitamin D Mangel diese Erkrankungen begünstigt und verstärkt.

 

Anders als bei Studien zu pharmakologischen Wirksoffen, bei denen eine klare Wirksamkeit bewiesen werden muss, liegt bei natürlichen Substanzen wie Vitamin D die Beweislast dem Grunde nach bei den Skeptikern, die den Nachweis führen müssen, dass die geltenden Richtwerte ausreichend in Bezug auf die bestmögliche Gesunderhaltung des Organismus sind. Aktuell durchgeführte Interventionsstudien können diese Fragen möglicherweise in den nächsten Jahren besser erklären helfen.

Konterkariert werden die Bemühungen um eine ausreichende Vitamin D Versorgung der Bevölkerung auch von Bewertungen wie dem Bundesamt für Risikobewertung (BfR). Nicht überraschend wird in einer erst 2020 erschienenen Stellungnahme vor einer regelmäßigen täglichen Einnahme von 3000-4000 I.E. an Vitamin D aus höherdosierten Nahrungsergänzungsmitteln gewarnt, da damit das derzeit geltende UL von 4000 I.E. aus allen Quellen überschritten werden kann und eine tägliche Zufuhr von 800 I.E. nach den derzeit gültigen Empfehlungen der DGE als ausreichend anzusehen ist.

Begründet wird dies insbesondere mit einem möglicherweise erhöhten Mortalitätsrisiko, dass mit einer regelmäßigen Einnahme über 6 Monate und 25-OH Vitamin D Werten von >30ng/ml verbunden ist. Herangezogen wird hierzu eine repräsentative Studie zur Vitamin-D-Versorgung der deutschen Bevölkerung auf deren Basis 16.2% der Kinder und 9.1% der Erwachsenen Vitamin D Werten >30ng/ml aufweisen. Die Autoren dieser Studie konstatieren hierin jedoch eine pandemische Mangelversorgung an Vitamin D in Europa mit einer Prävalenz von 40.4% auf Basis eines Schwellenwertes von <20ng/ml, was allein für Deutschland knapp 45 Millionen Personen entspricht.

Eine Interpretation der Daten dahingehend, bei den ausreichend mit Vitamin D versorgten Personen ein besonderes Gefährdungspotential zu erkennen, lässt einen nur noch sprachlos zurück.

 

 

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